Täglich führen wir Diskussionen über die ethische Nutzung von Medien und digitalen Diensten. Games stehen dabei besonders im Mittelpunkt des öffentliches Diskures, hier ergeben sich viele Fragen nach einer verantwortungsvollen Ethik. Wie sieht es aber mit einer Ethik der Gamification aus?
Gefahren und Risiken
Gamification berührt sensible Bereiche. Eine Gamification-Ethik muss das offen ansprechen und auch vor Risiken und Gefahren warnen. So gibt es auch eine „dunkle Seite“ der Gamification-Macht, etwa wenn man eine Spielifizierung des Krieges beobachtet. Unmenschliche Praktiken und solche, die Recht brechen, bleiben unmenschlich und verboten, egal wie toll ich sie mit Spielmechaniken umhülle.
Dazu zählen unter anderem:
- Krieg
- Kriminalität
- Akkordarbeit
- Verletzung von Personenrechten
- Aushöhlung der Arbeitnehmerrechte
- Verletzung des Datenschutz
Daher ist Gamification als Methode immer nur so ethisch, wie die Akteure in einer Organisation. Als Motivationsdesign umschreibt Gamification einen Ansatz der Organisationspsychologie und unterliegt den Unternehmenswerten und -zielen. Das ist auch der Grund, warum man bei der Einführung einer Methode (gleiches gilt übrigens für Tools) zunächst mit der Organisationskultur beschäftigen muss. Wenn es da nicht stimmt, helfen weder coole Werkzeuge wie Jira oder Slack noch ein verspielter Prozess.
Was ist Ethik?
Bevor man eine Ethik für Gamification formuliert, sollten wir den Begriff Ethik genauer beleuchten und definieren. Ethik ist ein Begriff aus der Philosophie und beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Frage nach dem richtigen Handeln in bestimmten Situationen sowie der Begründung für eben dieses Handeln. Ethik kann deskriptiv Normen- und Wertesysteme beschreiben, ohne zu werten, sie kann aber in der sogenannten angewandten Ethik wertend nach gültigen Normen, Werte und Handlungsempfehlungen suchen. Sie ist damit eine praktische Wissenschaft. Ihr geht es um eine Hilfestellung, einem vernunftbegabten Wesen wie den Menschen eine Grundlage für eine rationale Begründung seiner Moral zu liefern. Gerade in einer unüberschaubaren Welt mit vielen neuen und unbekannten Herausforderungen (Stichworte: Transhumanismus, Künstliche Intelligenz), haben Traditionen und eine Moral auf der Grundlage von scheinbar unhinterfragbaren Autoritäten wie Religionen ausgedient. Die Ethik liefert das Instrumentarium, diese Fragen zu beantworten.
Ethik der Gamification
Da Gamification menschliches Handeln in Organisationen ist, unterliegt es ethischen Gesichtspunkten. Neben den klar definierten rechtlichen Hürden (Einbeziehung der Betriebsrats, Sammlung personenbezogener (Leistungs-)Daten am Arbeitsplatz), empfehle ich allen Praktikern, folgende Leitsätze bei der Umsetzung von Gamification zu beherzigen. Diese Charta der ethischen Gamification ist eine Anregung:
Gamification stärkt die Gemeinschaft, nicht den Egoismus
Gamification ist mehr als Punkte, Badges und Leaderboards. Gerade Leaderboards befördern den totalen Egoismus und den Kampf „Jeder gegen Jeden“. Das ist nicht ethisch, schließlich sind Unternehmen wie alle Organisationen ein Zusammenschluss von vielen Menschen, die ein gemeinsames Ziel verfolgen und alle in unterschiedlichen Bereichen gemeinsam für die Verwirklichung dieses Zieles arbeiten. Bei der Umsetzung von Gamification muss man daher den Aspekt der Vergemeinschaftung viel stärker betonen und zum Maßstab nehmen. So bewertet man eher Teams als einzelne Spieler. Das trägt dazu bei, dass sich Teammitglieder im Sinne des Teams und des gesamten Unternehmens verhalten.
Beziehe alle Mitarbeiter bei der Konzeption und auch der Umsetzung von Gamification ein
Partizipation und Mitspracherecht ist nicht nur fair, es erhöht auch die Bereitschaft, offen zu sein für Veränderungen und solche Prozesse mitzutragen. Gamification funktioniert nur, wenn die Menschen das verinnerlichen und in ihrer täglichen Arbeit umsetzen. Mitarbeiter sollten früh befragt werden, auch in der Definition der Ziele von Gamification. Klassische Werkzeuge wie Umfragen, Ideenworkshops für alle Interessenten und eine offene Unternehmenskultur sind die beste Voraussetzung dafür.
Klärt die Unternehmenskultur und fragt, ob alle Mitarbeiter diese tragen
Die Basis für Gamification ist eine von allen Mitarbeitern getragene Unternehmenskultur. Unternehmen mit umfangreichen Hierarchiestufen, wenig Autonomie für den einzelnen Mitarbeiter und einer eher verschlossenen Kommunikationskultur sind ungeeignet für Gamification. Oder es kommt nur in einem beschränken Umfeld zum Einsatz. Wenn Gamification in einem Unternehmen (aber auch im Umgang mit Kunden) genutzt werden soll, verlangt das von der Führung und vom Management die Bereitschaft, Macht abzugeben, Freiheiten zu gewähren und die Autonomie des Einzelnen zu stärken.
Zudem sind die Unternehmenswerte nur so viel wert, wie diese von allen gelebt werden: vom Chef bis zum Portier. Nur wenn alle Mitarbeiter Werte und Ziele teilen, ist es sinnvoll Gamification zu implementieren.
Kein Zwang: Gamification sollte ein freiwilliges Angebot sein
Arbeit ist Pflicht. Aber Gamification ist jener Teil des Motivationsdesign, der Autonomie stärken sollte. Gibt den Leuten mehr Spielraum, so die Devise. Daher ist es besonders wichtig, Gamification mit dem Team gemeinsam einzuführen, die Mitarbeiter frühzeitig einzubinden und die zu überzeugen. Gamification basiert auf Freiwilligkeit. Wer sich damit nicht befassen will, dem sollten alternative Prozesse angeboten werden. Am Ende überzeugt der gamifizierte Prozess von selbst – indem er angenehmer ist, mehr Spaß macht und die eigene Arbeit interessanter werden lässt.
Liefere Argumente und keine Befehle
Gamification kann nicht von oben angeordnet werden. Die Konzeption und Einführung muss in sich schon Teil der Gamification-Philosophie sein. Überzeugen kann man die Menschen, indem man ihnen die Vorteile aufzeigt, Argumente liefert, ihre Sorgen ernst nimmt und diese berücksichtigt. Die Risiken habe ich oben angesprochen, das sollte in der Einführung bedacht und thematisiert werden. Wie sichert das Unternehmen die Personenrechte und den Datenschutz? Wie verhindert man das Erstarken einer Ellenbogenmentalität? Das alles vorab aufzuzeigen und argumentativ zu unterlegen ist nicht nur ethisch geboten. Es ist auch wichtig, um Erfolg zu haben.
Schütze die Schwachen
Gamification verfolgt das Ziel, Prozesse zu optimieren und die Ergebnisse von ganzen Teams zu verbessern, dabei auch die Zufriedenheit und den Spaß für den Einzelnen zu steigern. Ethisch korrekt lässt sich das umsetzen, wenn man den schwächsten Mitarbeiter beschützt und ihn als Teil eines Teams zu mehr Selbstsicherheit verhilft. Low-Performer können so motiviert werden, ihre Leistung für das Team zu steigern.
Gamification sollte ein humanistisch geprägtes Menschenbild voraussetzen
Das Menschenbild des homo oeconomicus sieht einen egoistischen, gierigen und im Herzen trägen Akteur am Werk, der kontrolliert werden muss. Dieses Menschenbild ist unvereinbar mit Gamification. Ein humanistisch geprägtes Bild sieht im Mitarbeiter den ganzen Menschen, der seine Fähigkeiten gerne einbringt und wachsen möchte. Für diesen Menschen ist Geld nicht die wichtigste Motivation, zur Arbeit zu kommen. Es geht um Selbstverwirklichung, gemeinschaftliche Erfolge und das Gefühl, gebraucht zu werden. Daher ist es unerlässlich, die Mitarbeiter und auch die Kunden mit mehr Autonomie auszustatten. Das setzt Vertrauen voraus. Daher der mehrfache Verweis auf eine offene Unternehmenskultur mit idealerweise flachen Hierarchien. Hier zeigt sich die beste Seite einer ethisch verantwortlichen Prozesssteuerung – nichts anderes ist Gamification.
Behandle die Menschen gerecht
Gerechtigkeit ist eine Kardinaltugend und für jede Ethik essentiell. Fairness ist nicht umsonst das wichtigste in jedem Teamspiel und jeder Mannschaftssportart. Deshalb ist es unerlässlich, den Gamificationprozess gerecht zu gestalten, eine ethisch einwandfreie Balance hinzubekommen. Das betrifft nicht nur die Bewertung der einzelnen Akteure und Teams, sondern auch die Gleichheit in der Art und Weise, wie Mitarbeiter den Prozess mitgestalten und partizipieren können. Gerechtigkeit in der Spielmechanik ist ein großes moralisches Plus eines jeden Spiels – das macht Spiele eben besser als die Welt da draußen.
Biete Sinn an
Sinn ist die stärkste Motivation – das wissen wir nicht nur durch den großen Erfolg von Religionen. Der Mensch blüht da auf, wo sein Wirken sinnvoll ist und seine Arbeit eingebettet ist in einer höheren Ordnung. Das ist ungemein motivierend. Storytelling, offenes und direktes Feedback sowie der bereits beschriebene humanistische Ansatz sind die Rezepte, um diesem ethischen Anspruch gerecht zu werden. Nichts ist schlimmer, als eine Arbeit ohne erkennbaren Sinn. Ob man mit Marx da die Entfremdung der Arbeit beklagt oder mit Viktor Frankl darauf pocht, dass Sinn zu finden für den Menschen das wichtigste ist, selbst in schwersten, existentiellen Umständen: Gamification ist nur erfolgreich, wenn man gemeinsam mit allen Akteuren darüber spricht, was die Arbeit ausmacht und wie sinnvoll eigentlich das ist, was man macht. Erst dann kann man sich überlegen, wie man das schöner gestaltet.
Mehre das Glück der Menschen im Unternehmen
Die Ethik fragt auch nach dem höchsten Gut. Der Eudämonismus will das Glück mehren. Utilitaristen sehen das Ziel darin, so viele Menschen wie möglich zu beglücken, das sei ethisch geboten. Übertragen auf Gamification heißt das, dass die Summe der zufriedenen oder gar glücklichen Mitarbeiter oder Kunden nach der Einführung höher ausfallen sollte, als vorher. Nur wenn die Menschen ihre Arbeit lieber verrichten und mit den Änderungen glücklich sind, ist Gamification gut. Natürlich stehen auch andere Ziele im Fokus, wie die Verbesserung der Qualität oder eine höhere Effizienz. Darunter darf aber nicht die Zufriedenheit der Mitarbeiter leiden.