Transhumanismus – Cyborgs und die Zukunft der Menschheit
Transhumanismus, wtf?
Der Transhumanismus glaubt, dass die nächste Evolutionsstufe der Menschheit die Verschmelzung des Menschen mit Technologie ist. Cyborgs sollen den Homo sapiens ablösen und das Leben im Universum auf eine neue Stufe heben. Was klingt wie Science-Fiction, ist vielleicht eine ernst zu nehmende Bedrohung für die nahe Zukunft und wird schon bald das Leben jedes einzelnen Menschen beeinflussen.
Begriffsklärung und Ideengeschichte
Ausgangspunkt ist das Konzept des „Human Enhancements“. Human Enhancement wird verstanden als Steigerung menschlicher Fähigkeiten oder Verbesserung des Menschen, womit zumeist nichttherapeutische Steigerungen über ein Normalmaß hinaus gemeint sind, also ‚Enhancement versus Therapie‘; besser aber therapeutisches versus nichttherapeutisches Enhancement.
Die Debatte wird seit den 1990er Jahren (nach Vorläufern in den Jahrzehnten zuvor) geführt und besitzt zunehmend politische Relevanz. Viele öffentlich geförderte Forschungs- und Dialogprojekte beschäftigen sich mit dem Thema, vor allem rund um ethische Fragen.
Ideengeschichtlich basiert der Transhumanismus auf technikvisionären Weltanschauungen, die mindestens seit den 1920er Jahren existieren und als organisierte soziokulturelle Bewegung seit den 1980er Jahren virulent sind.
Der Transhumanismus verfolgt ideell das Ziel, die menschliche begrenzte Natur zu überwinden:
“Foresee the feasibility of redesigning the human condition, including such parameters as the inevitability of aging, limitations on human and artificial intellects, unchosen psychology, suffering, and our confinement to the planet earth.” (World Transhumanist Association 2002)
Der Transhumanismus wird immer noch von einigen Beobachten als skurrile Techno-Sekte betrachtet. Er gewinnt aber an wachsendem Einfluss im ethisch-politischen Diskurs über Technologien und erscheinen als Vorhut einer breiteren, in Industrie, Akademie und Politik feststellbaren Strömung.
Zentrale Köpfe der transhumanistischen Idee
Zentrale Denker des Transhumanismus reichen zurück bis ins frühere 19. Jahrhundert. So kann der Brite Winwood Reade als der erste Transhumanist betrachtet werden. Der Forscher und Entdecker träumt von neuen Zeiten:
„These bodies which now we: wear belong to the lower animals; our minds have already outgrown them; already we look upon them with contempt. A time will come when Science will transform them by means which we cannot conjecture, and which, even if explained to us, we could not now under stand, just as the savage cannot understand electricity, magnetism, steam. Disease will be extirpated; the causes of decay will be removed; immortality will be invented. And then, the earth being small, mankind will migrate into space, and will cross the airless Saharas which separate planet from planet, and sun from sun. The earth will become a Holy Land which will 180 be visited by pilgrims from all the quarters of the universe. Finally, men will master the forces of Nature; they will become themselves architects of systems, manufacturers of worlds. Man then will be perfect; he will then be a creator; he will therefore be what the vulgar worship as a god. But even then, he will in reality be no nearer than he is at present to the First Cause, the Inscrutable Mystery, the GOD.“ (The Martyrdom of Man, 1872)
Der erste Transhumanist, reitend auf einem Ochsen in Angola (Quelle: W. Winwood Reade (1864), Savage Africa. New York, S. 270)
Ein anderer Denker des Transhumanismus ist H.G. Wells, der heute vor allem als Science Fiction Autor bekannt ist.
„This fact, that man is not final, is the great, unmanageable, disturbing fact that rises upon us in the scientific discovery of the future; and to my mind, at any rate, the question, What is to come after man? is the most persistently fascinating and the most insoluble question in the whole world. […] All this world is heavy with the promise of greater things, and a day will come – one day in the unending succession of days – when beings, beings who are now latent in our thoughts and hidden in our loins, will stand upon this earth as one stands on a footstool, and laugh, and reach out their hand amidst the stars.“ The Discovery of the Future (1902)
John Desmond Bernal, britischer Physiker und Visionär, sah den Transhumanismus als konsequente Entwicklung der menschlichen Natur:
„The new man must appear to those who have not contemplated him before as a strange, monstrous and inhuman creature, but he is only the logical outcome of the type of humanity that exists at present. […] Normal man is an evolutionary dead end; mechanical man, apparently a break in organic evolution, is actually more in the true tradition of a further evolution.“ (The World, the Flesh & the Devil: An Enquiry into the Future of the Three Enemies of the Rational Soul (1929)
Risiken
Der politische Einsatz unrealistischer bis fantastischer Visionen kann zur Fehlnutzung öffentlicher Gelder führen.
Einige der extremen Technikvisionen sind sehr fragwürdig (z. B. Menschenbild, Gesellschaftsverständnis und Anwendungen, z.B. enge Mensch-Waffensystem-Kopplung).
Diese Visionen, die von (technokratischen) Sozialisten und Kommunisten in den 1920er Jahren entwickelt wurden, erfüllen heute – in einer wirtschaftsliberal geprägten Zeit – andere Funktionen (Verlagerung von Zielen für die Gesamtgesellschaft auf individuelle Bedürfnisse Privilegierter sowie auf Interessen des Militärs).
Moderner Diskurs
Zeitgenossen wie der bekannte Erfinder, Unternehmer und Visionär Ray Kurzweil, dominieren heute den Diskurs, obwohl viele ihrer Ideen viel früher artikuliert worden sind und derzeitige Visionen oft eindimensional technokratisch sind.
- Verbesserung des Individuums (klüger, ausdauernder, stärker, schöner…)
- Visionen neuroelektrischer Cyborgs
- Ektogenese (Retortenbabys)
- Perfekte Kontrolle von Emotionen
- Lebensverlängerung
- Unsterblichkeit individuellen Bewusstseins in einer Superstruktur, die auf Mensch-Maschine-Symbiose beruhen und einem Organismus ähneln wird
- Schaffung von Leben (biologisch)
- Eroberung des Weltraums
- Sättigung des Universums mit von der Erde stammender, trans/posthumaner Intelligenz
Derzeitige Bemühungen zum „Human Enhancement“ sind wesentlich bescheidener und konzentrieren sich zunächst auf Kognition, Sinne, Stärke, Geschicklichkeit, Schnelligkeit, Körpergröße und Stimmung, Emotionen sowie psychische Verfassung.
Entscheidend für radikale Enhancement-Maßnahmen sind eine stärkere Modifikation des Körpers selbst, mit der weiterreichenden Vision der Überwindung menschlicher Körperlichkeit oder einer Verschmelzung mit Maschinen.
Aktuelle Beispiele sind Deep Brain Stimulation (DBS), vor allem bei Parkinson, aber auch schon testweise bei Depressionen sowie Steuerung von Maschinen (auch Bedienen von Computern) durch Gehirn-Computer-Schnittstellen (auch implantiert), vor allem für Gelähmte, aber auch schon für Computerspiele.
Zudem gibt es weiterreichende Visionen einer Cyborgisierung des Menschen, artifizieller Gedächtnisspeicher, totaler Kontrolle der Emotionen und der weitverbreiteten Steuerung von Maschinen per „Gedankenkraft“.
Popkultur und Transhumanismus
Besonders in der Popkultur sind transhumanistische Ideen allgegenwärtig, nicht nur in Science Fiction, auch in Games, Musik und der Werbung.
Fazit und Diskussion
Zu klärenden Fragen sind:
- Wie stellt man Verteilungsgerechtigkeit und Anforderungen an das Gesundheitssystem sicher?
- Wie mit gesellschaftlichen Druck/Zwang zu Human Enhancement umgehen?
- Von der Leistungsgesellschaft zur Leistungssteigerungsgesellschaft?
- Fragwürdige Verwendung / Verschwendung von forschungs-, technologie- und gesundheitspolitischer Ressourcen für unrealistische Visionen?
- Gibt es eine Verpflichtung zu Human Enhancement für bestimmte Berufsgruppen oder Situationen (SoldatInnen, ÄrztInnen, PilotInnen etc.)?
- Werden sozioökonomische Ungleichheit biologisch verfestigt?
- Befördert der Transhumanismus ein fragwürdiges Menschenbild und ebenso fragwürdige Zukunftsvisionen?