Rückblick gamescom: Brauchen wir Messen noch und wie mit dem Umbruch im Spielemarkt umgehen?

Kaum ist die gamescom vorüber und die Besucherrekorde einer eh schon überfüllten Messe verkündet, gibt es Unkenrufe, die das Ende der gamescom kommen sehen und sich die Frage stellen, ob angesichts der Umbrüche im Spielemarkt eine solche Veranstaltung noch zeitgemäß ist oder ob es nicht anders laufen sollte: kleiner, günstiger, flexibler und nischiger.

Die Frage ist nicht leicht zu beantworten. Zunächst geht es festzustellen, was sich gerade verändert in der Spielewirtschaft. Dann welche klassischen Funktionen einer Messe als Handelsplatz für Produkte und Ideen noch funktionieren und welche nicht zeitgemäß sind.

Umbruch der Gamesbranche

Nicht nur in der CRN 33 wird der Umbruch der Gamesbranche weg vom Boxengeschäft hin zum Online-Gaming mit neuen Erlösmodellen wie Freemium und Item Selling diskutiert. Dieser Prozess ist schleichend und lange noch nicht abgeschlossen, immerhin sind mehr als 90 Prozent der Einnahmen immer noch klassisches Geschäft. Die starke Betonung des Casual Gamers in den letzten Jahren erweist sich ebenfalls als verfrüht, da die Margen bei Core Gamern nicht nur im Hardware-Segment wesentlich besser sind. Auch bei Free2Play Titeln wie League of Legends (Riot Games) dominieren die Core Gamer.
Parallel werden die Webbrowser basierten Spiele professioneller und für Core Gamer spannender, wie etwa die Präsentation von Anno Online auf der gamescom beweist. Es ist nicht gewagt zu sagen, dass weltweit die Zahl der Core Gamer rasant steigt und sie die Hauptzielgruppe bleiben werden. Niemand investiert mehr Zeit, Energie, Aufmerksamkeit und Geld im Spiel. Egal wie man das Erlösmodell aufsetzt, die bringen die relevanten Assets ein um Geld zu verdienen. Casual Gamer sind demnach Kunden zweiter Klasse, die auf den Geschmack gebracht werden müssen. Aber es wäre verfehlt sich wie die Musikindustrie sich in einer trügerischen Sicherheit zu wähnen, die Weichen sind gestellt und es geht hin zu Free2Play, Freemium und Item-Selling. Zunächst in Asien geboren und als kreative Möglichkeit der Piraterie ein probates Geschäftsmodell entgegenzusetzen (übrigens ein Lösungsansatz für andere Branchen, die nach Leistungsschutz rufen), wird mit der massenweisen Verbreitung stabiler und günstiger Internetverbindungen das klassische Gamesgeschäft mit einem hochpreisigen Boxprodukt obsolet.

Was tritt an seiner Stelle? Freemium ist das Stichwort: Freemium bedeutet Grundfunktionen kostenlos (free2play), weitere Features kosten dann, entweder spezielle Levels, die man sich dazu kaufen kann (vertikale Verlängerung) oder indem man mit Item-Selling Vorteile innerhalb eines Spiellevels erwerben kann (horizontale Verlängerung).
Anders als früher ist das Geschäftsmodell Freemium kein Casual Gamer only Ansatz, im Gegenteil: Wer ist bereit Geld auszugeben wenn nicht der ambitionierte Spieler?

Tabelle: Grundbegriffe der neuen Spielewelt
ARPPU (Average Revenue Per Paying User) Durchschnittsumsatz eines jeden zahlenden Users
ARPU (Average Revenue per User) Durchschnittsumsatz eines jeden Users. Hier ist das Verhältnis zu den nicht zahlenden Usern eingerechnet. Diese verursachen Kosten ohne zu zahlen und drücken die Marge. Nur wenn es gelingt einen bestimmten Anteil zahlender User zu gewinnen gehen Freemium-Konzepte auf.
Browser basiertes Spielen HTML 5 wird endgültig Browsergames zu vollwertigen Spielen auch für Core Gamer machen. Wie bei Serious Games sind Browsergames nicht nur günstiger, sondern auch wartungsärmer und skalierbarer.
Client basiertes Spielen Im Grunde Gegenstück zu Browser, da man ein Stück Software auf dem eigenen Gerät (Client) installieren muss. Viele Games im Free2Play Bereich setzen auf Client basiertes Spielen, wie das populäre League of Legends
Conversion-Rate Anteil der Spieler, die von nicht-zahlenden zu Pay-Kunden umgewandelt wurden
CPA (Cost per Acquisition) Die Kosten, Nutzer zu Kunden zu machen. Der CPA berechnet sich, indem man die Werbeausgaben durch die Zahl der gewonnen Spieler und Nutzer einer Plattform innerhalb einer bestimmten Zeitspanne teilt.
Customer Acquisition Optimization Relevante Zahlen und Messwerte, um neue Nutzer zu gewinnen und den Prozess zu optimieren sind: Verweilsdauer, Wiederkehr, ARPU, ARPPU, täglich und monatlich aktive Spieler und Conversionrate. Diese Messzahlen sollten Maßnahmen steuern helfen.
DAU (Daily Active Users) Aktive Nutzer einer Plattform an einem Tag. Es geht um Unique Users, die sich mindestens einmal am Tag eingeloggt haben.
Freemium Ein Spiel oder Service wird frei angeboten, Registrierung und die wichtigsten Funktionalitäten (man spricht von mindestens 90 Prozent) sind frei, während Premium-Dienste und verbesserte Funktionen durch Items, Levels, virtuelle Güter, Zusatzfunktionen und spezielle Services kostenpflichtig sind.
F2P (Free to Play) Free to Play ist die Umsetzung des Freemium-Komzeptes auf die Games-Branche
MAU (Monthly Active Users) Aktive Nutzer einer Plattform in einem Monat. Es geht um Unique Users, die sich mindestens einmal im Monat eingeloggt haben.
Mikrotransaktionen Bezahlmodelle In-Game und auf den Plattformen, um Kleinestbeträge für Items abzuwickeln. Neben spieleeigene Währungen wie Coins kommen Bezahlformen wie SMS, Paypall, Überweisungen und Kreditkarte noch häufig zum Einsatz.
Mid Core Gamer Im Modell der Core und Casual Gamer nehmen die Mid Core einen Zwischenplatz ein, die sind ambitionierte Casual Gamer. Man könnte das Modell auch als Evolution des Spieleverhaltens charakterisieren vom Noob zum Geek.
MOBA (Multiplayer Online Battle Arena) Rollenspiele im Kampfmodus, stark wettbewerbsorientiert und mit DOTA sowie League of Legends einer der ersten sehr erfolgreichen F2P Titel im Core Gamer Bereich
MMO (Massively Multiplayer Online Game) Multiplayer Spiele, bei denen sich tausende bis Millionen Gamer auf einem Server (Spielewelt) bewegen und in Rollen mit- und gegeneinander spielen (PvE vs. PvP). Populärer Vertreter ist World of WarCraft
P2P (Pay to Play) Erlösmodell, bei dem man nur dann bezahlt, wenn man spielt. Es gibt Formen der zeitbasierten Abrechnung oder per Level. Der User zahlt nicht das ganze Spiel und auch nicht einzelne Items, sondern für eine bestimmte Spieldauer. Kombinierbar im eSport mit hohen Gewinnsummen für P2P-Turniere.
Verweilsdauer/ Wiederkehr Mit dem englischen Begriff Retention ist die Treue des Nutzers gemeint, die man in der Verweilsdauer und der Wiederkehr ausmessen kann. Dieser Wert ist sehr wichtig, denn er zeigt, ob ein Angebot die Kunden bindet und das Spiel nicht langweilig wird. Nur so kann der zahlende Kunde genügend Umsatz einbringen, um die Kosten zu decken und den Gewinn zu steigern.
Virtuelle Güter Items im Spiel und auf einer Plattform haben für den Nutzer Vorteile und sind deshalb wervolle Güter, die virtuell exitieren und für die man real bezahlen muss.

Sind Messen wie die gamescom noch zeitgemäß?

Die neuen Geschäftsmodelle lassen Messen überflüssig wirken, zumindest auf den ersten Blick. Messen sind seit dem Mittelalter Handelsplätze, aber auch Nachrichtenbörsen und Netzwerkveranstaltungen.

Für den Handel (Stichwort Weihnachtsgeschäft) wird die gamescom bald keine Rolle mehr spielen. Der Wandel zu digitalen Distribution und Free2Play wird den Retail langfristig bedrohen. Bis dahin wird es vermehrt Hausmessen und günstigere B2B Handelsplätze geben. Eine weitere Konkurrenz für klassische Messen sind Veranstaltungen wie die Wiener Game City.

Andere Funktionen einer großen Leitmesse bleiben dennoch wichtig: PR-Effekt für die Branche und das Netzwerken.

PR-Effekt für Branche

Zu keinem Zeitpunkt kann ein Thema stärker die Öffentlichkeit dominieren als zur Messezeit. Das bleibt wichtig, auch wenn Kosten und Nutzen in einer gesunden Relation stehen müssen. Zudem ist eine Spielemesse auch immer ein Happening. Games sind ein sehr emotionales Thema, Gamer identifizieren sich mit  den Spielen und bilden eine Hobbyisten- und Jugendkultur. Das spürt man auf der gamescom und lässt die Messe zu einem Cometogether werden. Games sind Unterhaltungskultur, das macht sich in der Darreichung bemerkbar, nicht nur durch die hoch emotionalen eSport-Events, die wichtige Publikumsmagneten für die gamescom sind.

Netzwerk und Akquise

Weiterer Pluspunkt von Messen: Netzwerken und Akquise. Denn der Mensch bleibt als soziales Tier auf den direkten persönlichen Kontakt angewiesen. Und im Gegensatz zu elektronischen Plattformen erlaubt die Messe ein hoch konzentriertes Surrogat an verfügbaren Kontakten auf engstem Raum. Und was wirklich spannend ist: vieles entsteht ungeplant und „zufällig“, einfach indem man durch die Gänge schlendert, hier und da bekannte Gesichter trifft, die was ganz anderes machen als gedacht, auf den Messepartys unverfänglich Menschen kennen lernt, die für das eigene Geschäft relevant sind.

Aber können das nicht kleinere Fachveranstaltungen leisten? Kongresse wie die Deutschen Gamestage oder die GDC etwa.
Das wird die wirkliche Herausforderung der gamescom neben der Frage, ob die Messen in den USA (E3) und Japan (Tokio Game Show) nicht besser ergänzt sind durch eine Messe in London oder Paris.
Für mich spielen die Netzwerk- und Agenda Setting Aspekte eine so wichtige Rolle auch für den kommerziellen Erfolg von Spielen, dass das Messeprinzip nicht sterben wird. Es muss sich aber ändern, gerade was die Kosten anbelangt. Es muss eine gute Relation gefunden werden zwischen Investition und Ertrag. Es wird dann wohl alles etwas kleiner und kompakter und mehr spitzer im Thema und in den Zielgruppen. Mammutveranstaltungen über fast eine Woche, die fast die gesamte Belegschaft binden, werden seltener und durch speziellere Events ersetzt werden.

 

8 thought on Rückblick gamescom: Brauchen wir Messen noch und wie mit dem Umbruch im Spielemarkt umgehen?

  1. Weg vom Handel & Big Business, hin zum reinen Networking-Event mit spitzen Themen. Interessant, wie du die Entwicklung dieser Messe beschreibst. Ich arbeite für die Frankfurter Buchmesse… und manche Tendenzen erkenne ich wieder. 😉

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